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Führungsgrundsätze katholischer Krankenhäuser

Verwaltungsverordnung vom 15. Mai 1998

in: EGV, Pastorale Regelungen, Heft 5, Paderborn 21998

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Vorwort

Die hier vorgelegten Führungsgrundsätze für katholische Krankenhäuser im Erzbistum Paderborn sind das Ergebnis eines längeren Kommunikationsprozesses, an dem zahlreiche Personen beteiligt waren, die auf unterschiedliche Weise in der Verantwortung für die Gestalt des katholischen Krankenhauses stehen. Die Initiative zur Erarbeitung kam von der Projektgruppe „Personalentwicklung 2000“, die im Auftrag des Erzbistums zusammen mit den katholischen Krankenhäusern Fragen der besonderen Identität kirchlicher Einrichtungen und ihrer Unternehmenskultur behandelt. […]
Die vorliegenden Führungsgrundsätze sind Verhaltensregeln für die Zusammenarbeit im Alltag der Dienste. Sie haben im Unterschied zu gesetzlichen Vorschriften mehr den besonderen Charakter der Selbstverpflichtung. Sie umschreiben Haltungen und Verhaltensweisen, von denen man die glaubwürdige Darstellung eines katholischen Hauses durch das Führungsverhalten seiner leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten darf.
Führungsgrundsätze sind darüber hinaus im Rahmen des vorgegebenen Auftrags das Maß, dessen Erfüllung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die gesetzlich formulierten Rechte hinaus erwarten können. Sie zielen auf die Vorbildfunktion der leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese wird dann erfüllt, wenn Führungspersonen neben ihrer fachlichen Zuständigkeit auch für Geist und Atmosphäre der Einrichtung Verantwortung übernehmen und ihre Fähigkeiten zu „sozialer Kompetenz“ entwickeln, also jeden einzelnen zu achten, ihn fair zu behandeln und zu fördern.
Weil der praktische Nutzen von Führungsgrundsätzen nicht so sehr von objektiv nachprüfbaren und einklagbaren Gesetzen und Normen abhängt, sondern die innere Bejahung voraussetzt, können diese Grundsätze weder einfach übernommen noch durch bloße Verordnung eingeführt werden. Sie brauchen Aneignung und die gedanklich und menschlich sich entwickelnde Zustimmung.
Die hier vorgelegten Führungsgrundsätze sind Aufforderung und inhaltlicher Leitfaden für einen solchen Prozess der Aneignung in den Häusern selbst. Die Arbeitsgruppe des Projektes Personalentwicklung steht den katholischen Krankenhäusern im Erzbistum Paderborn für deren Einführung zur Verfügung.
Seit der ersten Drucklegung der Führungsgrundsätze im April 1995 haben im Rahmen solcher Einführungsprozesse Führungsverantwortliche diverse Änderungen und Ergänzungen des Textes vorgeschlagen. Diese haben wir dankbar aufgenommen und in der nun vorliegenden zweiten Auflage berücksichtigt. Es soll damit insbesondere zum Ausdruck kommen, dass diese Grundsätze entwicklungsfähig sind und immer wieder neu mit Leben gefüllt werden müssen.
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1. Einleitung

Katholische Krankenhäuser haben vom Evangelium her ein eigenes Gepräge und stehen von daher unter einer besonderen Verantwortung. Patienten, Mitarbeiter, Seelsorger und Träger fragen daher zu Recht nach dem Besonderen des katholischen Krankenhauses. Obwohl die medizinischen und pflegerischen Leistungen dem jeweiligen Standard entsprechen und oft auch überdurchschnittlich sind, ist dieses Besondere aber oft wenig spürbar. Befragungen in einigen Krankenhäusern und die Auswertung der Seminare des Projektes „Personalentwicklung 2000“ mit vielen Mitarbeitern katholischer Krankenhäuser lassen an diesem Befund leider keinen Zweifel und rufen nach einem Überdenken der Organisationsstrukturen, die den guten Willen und Einsatz aller Beteiligten noch besser zum Tragen bringen.
Führungsgrundsätze sind eine Orientierungs- und Organisationshilfe. Als Handlungsgrundsätze zeigen sie die Ausrichtung eines Mitarbeiterverhaltens an einheitlichen Gesichtspunkten auf. Ein solches Verhalten lässt sich kaum rechtlich durchsetzbar festschreiben. Die Grundsätze sollen daher eine persönlich verantwortete Verpflichtung festhalten und voranbringen.
Die Vorteile solcher Führungsgrundsätze bestehen darin, dass sie
  • eine Grundlage für betriebliches Verhalten darstellen
  • ein Hilfsinstrument für einen zeitgemäßen Führungsstil sind
  • dem einzelnen Orientierung für sein persönliches Verhalten bieten
  • Transparenz über die Zusammenarbeit im Unternehmen schaffen.
Führungsgrundsätze geben Antwort auf die Frage, was für Führungskräfte wichtig ist, damit das Ziel eines Unternehmens erreicht werden kann, indem sie dazu beitragen, das Zusammenleben und -wirken im Unternehmen zu verbessern.
Die folgenden Führungsgrundsätze sollen Führungskräften im Krankenhaus eine Orientierungshilfe sein, um ihr Verhalten als Vorgesetzte so einzurichten, dass die besondere Eigenart des Krankenhauses auch spürbar werden kann.1# Die besondere Eigenart zeigt sich im Wirken des christlichen Geistes, der das katholische Krankenhaus prägen muss.
Bevor die Frage geklärt werden kann, wie die Führungskräfte in katholischen Krankenhäusern sich verhalten müssen, um diese Eigenart spürbar werden zu lassen, ist es notwendig, diese Eigenart zu beschreiben. Der Abschnitt über die Ausrichtung des katholischen Krankenhauses versucht hierauf eine Antwort zu formulieren.
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2. Die Ausrichtung katholischer Krankenhäuser

Das Ziel aller christlich caritativen Dienste ist der Gott ebenbildliche Mitmensch, der Hilfe braucht.2# Nur um seinetwillen gibt es die verschiedenen caritativen Dienste. Das Liebesgebot Jesu, das gerade für den Schwächeren besondere Zuwendung verlangt, wird durch diese Dienstleistung von Christen als einzelnen wie als Gemeinschaft, also als Kirche in die Tat umgesetzt.
Diese Dienste berücksichtigen die individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse des Kranken, indem die Qualität und Quantität der Hilfe diesen angepasst wird.
Die Kirche hilft selbstlos den Notleidenden. Sie bezeugt dadurch ihren Glauben an Jesus Christus; denn sie weiß, dass all das, was den Schwachen und Bedürftigen getan oder verweigert wird, Christus selber angetan ist. Die Werke der Nächstenliebe gehören daher unabdingbar zum Glauben.3#
Aus dieser Haltung hat sich die Kirche von ihren Anfängen an um die Kranken gesorgt. Dieses führte im Laufe der Geschichte von den Hospizen an den Bischofssitzen und Klöstern über die Gründung von Krankenhäusern und Krankenpflegeorden zu den hochtechnisierten Kliniken von heute.
Würde die Kirche die Sorge um die Kranken aufgeben, würde sie sich selber aufgeben, denn Caritas ist Wesens- und Lebensäußerung der katholischen Kirche.
Unsere Patienten haben einen rechtlichen Anspruch auf eine ausreichende medizinische und pflegerische Leistung.
Das Besondere des katholischen Krankenhauses zeigt sich in der Art, wie wir dem Menschen begegnen. Das christliche Menschenbild muss die Grundlage des Handelns im Krankenhaus sein. Darum bemüht die Kirche sich, dem ganzen Menschen gerecht zu werden; ihre Sorge geht über den somatischen Bereich hinaus und berücksichtigt die geistig-seelischen Dimensionen des Kranken.
„Im Zustand der Erkrankung macht der Mensch oft Erfahrungen, die ihn erkennen lassen, wie begrenzt, gebrechlich, ausgeliefert und ohnmächtig (ohne Macht) er ist. Die unmittelbare Reaktion des Kranken auf diese Erfahrung ist nicht selten das Erleben von Einsamkeit, Besorgnis, Angst, Sinnlosigkeit – bis hin zu Hoffnungslosigkeit. Das ‚Kranksein’ stellt bisherige Selbstverständlichkeiten in Frage. Es mindert die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte, Fähigkeiten und Gaben. Manche Krankheiten zerstören sie sogar und weisen den Menschen unumstößlich auf das Sterben und den Tod hin.“4#
In einer solchen Situation darf der Kranke nicht allein gelassen werden. Er muss auf Menschen treffen können, die für Fragen nach dem Sinn der Krankheit und des Lebens offen sind und für sich im Glauben an die Heilsbotschaft Christi eine existenziell tragende Antwort gefunden haben. Die Begegnung mit solchen Menschen und die Begleitung durch sie gehört wesentlich zum caritativen Dienst von Christen. Das heißt, die katholischen Krankenhäuser verdienen diesen Namen nur, wenn dem Menschen in dieser Situation eine Hilfe aus dem Glauben angeboten wird.
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3. Handlungsgrundsätze

Aufgabe der Führungsverantwortlichen im katholischen Krankenhaus ist es daher, sicherzustellen, dass der Patient die ihm nötige Hilfe in Form menschlicher, also pflegerischer, ärztlicher wie seelsorglicher Dienste aus diesem ganzheitlichen Selbstverständnis erhält. Das ist allerdings nur möglich, wenn nicht nur der Einsatz jedes einzelnen Mitarbeiters stimmt, sondern auch die Atmosphäre und das Arbeitsklima eines Hauses von diesem Geist getragen wird. Eine Hilfe und Orientierung dazu sollen diese Handlungsgrundsätze sein.
Der Führungsverantwortliche achtet die Person der Mitarbeiter, indem er
  • für diese einsteht
  • Fairness und Gerechtigkeit übt
  • für ihre Mitarbeiter einsteht
  • auf Gesundheit, Wohlergehen und Entfaltung der Mitarbeiter achtet
  • jegliche Form von Diskriminierung (Herkunft, Geschlecht usw.) unterbindet
  • sich Zeit für sie nimmt
Der Führungsverantwortliche setzt sich für die Qualität der Leistung des Krankenhauses ein, indem er
  • die fachliche Qualität der Leistungen seiner Mitarbeiter überprüft, in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen beurteilt und kontinuierlich fördert
  • den Einsatz anerkennt und lobt, Mängel dagegen durch klare, aber
  • diskrete Kritik aufarbeitet und behebt
  • die Mitarbeiter anhält, dafür zu sorgen, dass die Patienten entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen medizinisch und pflegerisch betreut sowie seelsorglich, das heißt auch sakramental, begleitet werden können
  • darauf achtet, dass der Umgang auf allen Stufen der Mitarbeiter, aber auch gegenüber den Patienten von Vertrauen und gegenseitiger Achtung geprägt ist
  • höfliche Umgangsformen und eine entsprechende Sprache pflegt und einfordert
  • Vorbild für seine Mitarbeiter ist
Der Führungsverantwortliche setzt die Mitarbeiter in die Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen, indem er
  • eine flexible und durchschaubare Organisation schafft
  • die notwendigen Kompetenzen delegiert
  • die Mitarbeiter kontinuierlich und möglichst umfassend informiert unter Beachtung der beruflichen Schweigepflicht
  • sie ermuntert, Informationen und Anregungen weiterzugeben
  • den Teamgeist fördert
  • regelmäßige Besprechungen durchführt, zu denen gezielt Mitarbeiter anderer Abteilungen – auch Seelsorger und Sozialarbeiter – eingeladen werden
  • die Fortbildung der Mitarbeiter in fachlicher wie auch menschlicher, ethischer und religiöser Hinsicht gewährleistet
  • für eine gerechte Arbeitsaufteilung sorgt und Sonderbelastungen gerecht verteilt
Der Führungsverantwortliche motiviert die Mitarbeiter, indem er
  • klare Ziele und Standards mit ihnen vereinbart
  • die Mitarbeiter bei Entscheidungsfindungen einbezieht
  • Verantwortung an Mitarbeiter überträgt
  • Anerkennung gibt und die eigene Freude an der Arbeit ausdrückt
  • nötige Kritik sachbezogen, zeitnah und nie vor Patienten sowie anderen dritten anbringt
  • offen ist für Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik
  • durch Feste und Feiern mit den Mitarbeitern das Betriebsklima fördert
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4. Anforderungsprofil für Führungskräfte in katholischen Krankenhäusern

Um diesen Führungsgrundsätzen genügen zu können, müssen an Mitarbeiter katholischer Krankenhäuser, die mit Leitungsfunktionen betraut sind oder die prägende Verantwortung tragen, folgende Erwartungen gestellt werden:
  1. fachliche Qualifikation
    • berufsspezifische Qualifikation je nach Aufgabe
      • medizinisch für den ärztlichen Dienst
      • pflegerisch für den Pflegedienst
      • betriebswirtschaftlich für die Verwaltung
      • theologisch, pastoral für die Seelsorger
    • grundlegendes Wissen um die Ziele, Methoden und Besonderheiten der jeweils anderen Dienste im Krankenhaus
    • Aufmerksamkeit für ökonomische Belange des Krankenhauses
    • Berücksichtigung ökologischer Aspekte
    • Fähigkeit, sein Handeln allgemein menschlich, aber auch vor dem Anspruch des Evangeliums ethisch rechtfertigen zu können
    • Fähigkeit, Berufsethik dem Nachwuchs zu vermitteln
  2. menschliche Qualifikation
    • Achtung vor jedem Menschen als einem Ebenbild Gottes, also einer Person mit ihrer eigenen unbedingt zu achtenden Würde
    • Einfühlungsvermögen in die persönlichen Belange von Patienten wie Mitarbeitern
    • Respekt vor Patienten und deren Entscheidungen
    • Achtung der Mitarbeiter und ihrer spezifischen Verantwortung, Wohlwollen und Hilfsbereitschaft ihnen gegenüber
    • Fähigkeit, die eigene Stellung und die Macht, die mit jeder Leitungsfunktion verbunden ist, nicht zu persönlichen Vorteilen auszunützen
  3. Führungsqualifikation
    • Wissen um die Ziele des katholischen Krankenhauses und die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen
    • Wissen um Bedingungen und Methoden der Menschenführung
    • Fähigkeit zur partnerschaftlichen, helfenden Gesprächsführung
    • Fähigkeit, mit Konflikten und Kritik umzugehen
    • Delegationsfähigkeit, welche die Eigenverantwortung des Mitarbeiters achtet und dessen Initiative fördert
    • Kooperationsfähigkeit
  4. religiöse Qualifikation
    • Interesse am christlichen Glauben und an religiösen Bedürfnissen der Menschen
    • Kenntnisse des christlichen Glaubens und der Lebensformen der katholischen Kirche
    • Offenheit und Verständnis gegenüber Angehörigen anderer Religions- und Glaubensgemeinschaften im Krankenhaus
    • Bereitschaft, sich mit den Fragen nach dem Sinn des Lebens, des Leidens, der Krankheit, des Sterbens und des Todes auseinanderzusetzen
    • Bereitschaft, sich bestmöglich um die Seelsorge des Patienten zu bemühen, mindestens aber die organisatorischen und gestalterischen Rahmenbedingungen bereitzuhalten und gegebenenfalls auf die entsprechenden baulichen Voraussetzungen zu dringen
    • Bereitschaft, sich selbst religiösen Fragen zu stellen, das eigene Leben am Glauben auszurichten und die religiöse Überzeugung anderer zu achten
    • Verständnis und Wertschätzung für die Lebensvollzüge der Katholischen Kirche und Bereitschaft zur Teilnahme an den religiösen Feiern der Dienstgemeinschaft
Voraussetzung für diese Anforderungen ist die Erwartung, dass die angesprochenen Mitarbeiter sich bemühen
  • fehlendes Wissen sich anzueignen
  • fehlende Fähigkeiten einzuüben
  • durch Arbeit an sich selbst sich persönlich weiterzuentwickeln
  • um persönliche Auseinandersetzung mit den Fragen der menschlichen Existenz
  • um Offenheit für das christliche Gaubensverständnis, in welchem das katholische Krankenhaus seinen Dienst als Aufgabe begreift.

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1 ↑ Die Zusammenarbeit im Direktorium ist durch das Muster-Organisationsstatut für katholische Krankenhäuser im Erzbistum Paderborn und durch Erlasse des Trägers bestimmt.
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2 ↑ Vgl. Josef Voß, Die Dienstgemeinschaft des katholischen Krankenhauses, in: Kessels u.a. (Hg.), Die Gestalt des katholischen Krankenhauses, Freiburg o.J., S. 52. „Es geht hier um den Menschen in seiner vollen Wahrheit, in all seinen Dimensionen … Er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche.“ Johannes Paul II., Redemptor Hominis III,13 f.
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3 ↑ A. Szekely, Die kirchliche Krankensorge, in: Kessels u.a., a.a.O. S. 37.
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4 ↑ Pastorale Handreichungen, Nr. 5, Anregung für die Seelsorge im Krankenhaus und in Alten- und Pflegeheimen.