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Begriff Lokalobservanz
Hinweis auf staatliches Recht
in: KA 106 (1963) 146, Nr. 238
#Da der Begriff der Lokalobservanz vielen Kirchenvorständen nicht klar ist, werden hier aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm folgende Ausführungen zur Orientierung mitgeteilt:
Unter einer Lokalobservanz versteht man die Gewohnheit, welche in der gleichmäßigen Ausführung und Erfüllung vertragsmäßiger Rechte und Pflichten zwischen bestimmten Personen eines örtlichen Bereichs besteht (vgl. Koch, ALR, 6. Aufl., Bd. 1, Note 14 zu Ziffer VII des Publikationspatentes). Sie ist lokales Gewohnheitsrecht. Die Observanz hat als Gewohnheitsrecht den Charakter objektiven Rechts; sie ist ungeschriebenes Gesetz. Dadurch unterscheidet sie sich von der „erwerbenden Verjährung“, auf welche das Landgericht die verurteilende Erkenntnis gestützt hat. Während diese Rechte, die man noch nicht besitzt, erst begründet, ergeben die in der Observanz enthaltenen spezifizierten Rechtstitel, hier solche auf „reine Berechtigungen“ und auf „Brot- und Biergeld“, die Feststellung des Rechtsinhalts. Die Klägerin kann, wenn die Lokalobservanz vorhanden ist, darauf ihre Ansprüche stützen, ohne dass es der Nachforschung nach den Entstehungsursachen dieser Ansprüche bedarf. Darauf, dass die Sachverhalte, aus denen die spezifierten Ansprüche entstanden sind, nicht mehr bekannt sind oder sich nicht ermitteln lassen, kommt es nicht an. Es genügt, dass die Ansprüche als Gewohnheit ersichtlich sind.
Das Bestehen der W. Observanz kann sich schon daraus ergeben, dass die von der Klägerin geltend gemachten Berechtigungen in den Jahren 1855 bis 1953 fortlaufend bezahlt worden sind. Es ist anerkannten Rechts, dass zum Beweis der Bildung eines Gewohnheitsrechts auch auf Momente hingewiesen werden darf, welche sich zwar später zugetragen haben, jedoch den Schluss auf eine bereits früher entstandene Gewohnheit begründen (Pr. Obertribunal Entsch. 65, 213). Wird über einen langen Zeitraum immer die gleiche Leistung erbracht, so kann man unter gewissen Umständen folgern, dass sie auch vorher in gleicher Weise erbracht worden ist. So liegen die Dinge hier. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Leistungen der Beklagten schon im Jahre 1855 als gewohnheitsrechtlich begründet angesehen wurden. Dies folgt aus dem Erläuterungsschreiben des Bürgermeisters zu dem Etat 1855 (Bl. 222 Stadtakte). Der dort gebrauchte Ausdruck „seit rechtsverjährter Zeit“ deutet ausdrücklich das Bestehen einer Observanz an. Die historischen Tatsachen lassen nur den Schluss zu, dass die Beklagte damals von einer fortdauernden Leistungsverpflichtung ausgegangen ist. Zum anderen spricht noch ein weiterer Grund für das Bestehen der Observanz. Die streitigen Berechtigungen werden in dem Etat von 1855 als „Stabile Auslagen“ bezeichnet. Ihnen gegenüber stehen die wechselnden und sich ändernden Ausgaben der Beklagten für die Klägerin aus der Kirchenbaulast. Hinzu kommt, dass die Beklagte zum mindesten allgemeine Vorstellung über den Rechtsgrund ihrer Leistungen hatte. Dies folgt wiederum aus den Erläuterungen des Etats 1855. Darin ist nämlich gesagt, dass die „Stabilen Auslagen“ aus Stiftungen herrühren bzw. daraus, dass die Beklagte Stiftungskapitalien übernommen habe und dadurch Schuldnerin der betreffenden Pfründen geworden sei.
Es steht somit fest, dass die streitigen Zahlungen über einen Zeitraum hinweg geleistet worden sind, dessen Beginn nicht festzustellen ist, der aber in die Zeit des gemeinen Rechts hineinreichen muss. Zum anderen ist dargetan, dass die Zahlungen auf Sachverhalte zurückgehen, die zur Entstehung von entsprechenden Rechtstiteln geführt haben. Diese verloren gegangenen Rechtstitel bestehen als Observanz weiter.
Mit dem Inkrafttreten des Preußischen Allgemeinen Landrechts kann die W. Lokalobservanz nicht untergegangen sein. In Ziffer 4 des Publikationspatents ist bestimmt, dass Observanzen so lange Geltung haben sollen, bis in den einzelnen Provinzen Provinzialgesetzbücher erlassen seien. Danach sollten nur noch diejenigen Observanzen berücksichtigt werden, welche in die Provinzialgesetzbücher aufgenommen würden oder mit dem ALR übereinstimmten. Für Westfalen ist jedoch ein solches Provinzialgesetz nicht erlassen worden (vgl. Koch ALR, Anm. 12 zu Ziffer IV des Publikationspatentes). Das Inkrafttreten des ALR ist demnach ohne Einfluss auf die W. Observanz geblieben. Ebensowenig hat das Inkrafttreten des BGB sie berührt (Art. 170 EGBGB).