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Zur moraltheologischen Beurteilung der Sterilisation

Hinweis

in: KA 118 (1975) 110-111, Nr. 96

Die katholische Moraltheologie sieht die freiwillige Sterilisation unter einem doppelten Aspekt: Als Verletzung der körperlichen Integrität und als Form artifizieller Antikonzeption.
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Allgemeine Regeln

  1. Die Integritätsverletzung wird beurteilt nach dem sogenannten Totalitätsprinzip. Für die sittliche Erlaubtheit chirurgischer Eingriffe gelten drei Bedingungen:
    1. Wenn das Verbleiben oder die Tätigkeit eines einzelnen auch gesunden Organs im Ganzen des Organismus einen ernsthaften Schaden verursacht oder eine Bedrohung darstellt.
    2. Wenn dieser Schaden nicht vermieden oder wenigstens nicht bedeutend vermindert werden kann, außer durch den in Frage stehenden Eingriff.
    3. Wenn man mit gutem Grund annehmen kann, dass die negative Folge, d.h. die Folgen des Eingriffes, durch den positiven Erfolg aufgewogen wird, nämlich durch die Beseitigung der Gefahr für den ganzen Organismus, durch die Eindämmung der Schmerzen usw.
  2. Die ärztliche Behandlung einer auf Grund von Krankheit oder anderen körperlichen oder auch geistigen Gebrechen oder psychischen Erkrankungen am Vollzug der gültigen Ehe und ihren Verpflichtungen behinderten oder gar unfähigen Person ist als Heilbehandlung zu beurteilen und vom Totalitätsprinzip aus sittlich gerechtfertigt: Ein Glied oder ein Organ des menschlichen Leibes darf um der Heilung und damit auch um der Leistungsbefähigung des menschlichen Ganzen willen behandelt und im äußersten Fall auch stillgelegt werden. Bei einer solchen ärztlichen Sterilisation steht nicht die Empfängnisverhütung im Vordergrund der Intention des Arztes, sondern die Heilung des behandelten Patienten, der anders nicht zu den von ihm sittlich geforderten Leistungen fähig ist.
  3. Eine Sterilisation, welche nur zum Zwecke der Empfängnisverhütung durchgeführt wird, kann nicht durch das Totalitätsprinzip legitimiert werden und ist ethisch verwerflich.
  4. Das Totalitätsprinzip findet auch Anwendung bei einer medizinisch indizierten prophylaktischen Sterilisation. Hier ist die Unterscheidung von Infertilität und Sterilität zu beachten: Infertilität bedeutet die Unfähigkeit, weitere Kinder bis zur Lebensfähigkeit auszutragen; Sterilität dagegen die Konzeptionsunfähigkeit. Die sittliche Ordnung kann nur durch eine Maßnahme verletzt werden, die auf die Zerstörung einer gesunden Fertilität hinausläuft. Wenn aber eine Austragefähigkeit nicht mehr gegeben ist, so muss man in der Ausschaltung einer sinnlos gewordenen Funktion durch eine direkt sterilisierende Maßnahme keinen die sittliche Ordnung verletzenden Eingriff sehen. Die sterilisierende Maßnahme hat dann ganzheitlich gesehen einen therapeutischen Sinn. Diese Auffassung kann heute als probate Meinung bezeichnet werden.
  5. Eine direkte Sterilisation, bei der die Sterilität direkt gewolltes Ziel der Operation ist, darf nicht lediglich als „eine Art der Familienplanung“ durchgeführt werden.
    Die indirekte Sterilisation, bei der die Sterilität nur zugelassene Nebenfolge eines anderen ärztlichen Eingriffes ist, muss nach den Regeln über die Handlungen mit doppeltem Effekt beurteilt werden und kann sittlich erlaubt oder auch unerlaubt sein. Zur Erlaubtheit muss ein entsprechend wichtiger Grund vorliegen, der es rechtfertigt, die negative Folge in Kauf zu nehmen. Das Abwägen dieses Grundes bleibt dem gewissenhaften Urteil des Arztes im Einzelfall überlassen.
  6. Der Krankenhausträger soll darauf achten, dass die obengenannten allgemeinen Regeln in einem katholischen Krankenhaus beachtet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung der Regeln im Einzelfall zu unterschiedlichen Konsequenzen führen kann.
    Wenn ein Arzt in einem katholischen Krankenhaus die Sterilisation als ultima ratio einer Geburtenkontrolle ansieht, so ist das mit der verbindlichen Lehre der Kirche nicht zu vereinbaren. In Anbetracht der weit verbreiteten, von der Enzyklika „Humanae vitae“ abweichenden Auffassungen (vgl. dazu Königsteiner Erklärung der deutschen Bischöfe von 1968) kann der Krankenhausträger zwar nicht verpflichtet werden, mit Sanktionen gegen den Arzt vorzugehen, jedoch hat der Krankenhausträger darauf hinzuwirken, dass die verbindliche Lehre der Kirche beachtet wird.