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Zur moraltheologischen und rechtlichen Beurteilung einer lebensnotwendigen Blutübertragung bei Ablehnung durch den Patienten

Hinweis

in: KA 129 (1986) 40, Nr. 40

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Von katholischen Krankenhäusern im Bereich des Erzbistums Paderborn wurde um Beantwortung folgender Frage gebeten:
 
Die Zeugen Jehovas lehnen grundsätzlich eine Blutübertragung ab. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus legen sie eine entsprechende Willenserklärung vor. Wie soll sich der Arzt verhalten, wenn er es während einer Operation – etwa bei einer Geburt – für lebensnotwendig hält, eine Blutübertragung durchzuführen?
Die Frage soll nach zwei Richtungen beantwortet werden: 1. moraltheologisch und 2. juristisch.
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1. Moraltheologische Aspekte

Die Selbstbestimmung des erwachsenen verantwortlichen Patienten ist der entscheidende Gesichtspunkt für den Arzt. Das gilt auch im Fall des Zeugen Jehovas. Diesem entgegen seiner ausdrücklich geäußerten Willenserklärung Blut zu übertragen, wäre nur gestattet, wenn man dem Patienten die Kompetenz zu einer Entscheidung absprechen müsste.
Der Arzt ist also gehalten, die freie Entscheidung des Zeugen Jehovas zu respektieren. Indem er das tut, respektiert er die Gewissensfreiheit des Patienten, welche besagt, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sein Gewissen zu handeln.
Der Arzt kann gegebenenfalls die Behandlung eines Patienten verweigern, der für den Arzt nicht akzeptable Bedingungen für die Behandlung stellt, also etwa eine Blutübertragung grundsätzlich ablehnt. Eine Abweisung von Patienten durch den Arzt ist jedoch nicht erlaubt, wenn sofortige ärztliche Hilfe erforderlich ist.
Wenn ein Zeuge Jehovas eine Blutübertragung an sein Kind verhindern will, liegt die Sache anders: Der Arzt muss und kann nach seinem Gewissen handeln, im dringenden Notfall auch ohne vorherige Unterrichtung der Eltern.
In diesem Fall können sich die Eltern nicht darauf berufen, ihre Gewissensfreiheit sei angetastet. Für die Rettung des Kindes ist außer den Eltern auch der Arzt verantwortlich, der ebenfalls an sein Gewissen gebunden ist.
Der für andere Sorgepflichtige muss das tun, was der Sorgepflicht soweit wie möglich entspricht; das gilt für Eltern wie für Ärzte. Der Arzt muss es aber dulden, wenn Eltern ihr nach ärztlicher Ansicht zu operierendes Kind aus der Behandlung dieses Arztes herausnehmen.
Einige versuchen, ärztliches Eingreifen entgegen dem ausdrücklichen Willen des Patienten dadurch zu rechtfertigen, dass man diesen für nicht zurechnungsfähig hält. Eine ähnliche Situation sieht man für Zeugen Jehovas gegeben, da sie unter einem inneren Druck ihrer Glaubensgemeinschaft stünden. Diese Argumentation kann nicht akzeptiert werden.
Das ganze Problem der Frage, ob man einem Zeugen Jehovas, der Blutübertragungen grundsätzlich ablehnt, dennoch im Notfall durch eine Blutübertragung helfen soll, wird medizinisch dadurch entschärft, dass die Zeugen Jehovas künstlichen Blutersatz akzeptieren. Möglicherweise kann bei Gefahren während der Schwangerschaft das Leben des Kindes und der Mutter unter Umständen durch künstlichen Blutersatz gerettet werden.
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2. Juristische Aspekte

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) und die verfassungsrechtlich garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit (Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz) sind bei ärztlicher Behandlung zu beachten. So darf nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Patient, der seinen freien und ungetrübten Willen äußert, eine ärztliche Behandlung auch dann ablehnen, wenn diese Weigerung zum Tode führen würde.
Der Patient hat immer die Behandlungsautonomie; dem einsichts- und willensfähigen Patienten darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ungewollte oder abgelehnte Behandlung nicht aufgenötigt werden. Wenn der Patient den Behandlungsabbruch fordert oder die Behandlung überhaupt verweigert, so muss diesem Verlangen entsprochen werden, auch wenn die Grundsätze der Medizin eine Weiterbehandlung durchaus sinnvoll erscheinen lassen.
Demnach macht sich ein Arzt nicht strafbar, auch nicht wegen unterlassener Hilfeleistung, wenn er z.B. den Willen eines Zeugen Jehovas respektiert, der eine Bluttransfusion ablehnt.
Ob ein Arzt, der sich über den Willen des Zeugen Jehovas hinwegsetzt, straffrei bleibt, ist nicht unbestritten.
Wenn es um das Kind eines Zeugen Jehovas geht, ist – sofern Zeit dazu ist – ein eigener Pfleger oder Vormund für die Zeit des Eingriffs zu bestellen. Dasselbe gilt im Fall der Geburt, sofern Gefahr für das Leben des Kindes besteht.